Neue Westfälische , 27.02.2010 :
Getarnte Kameraden / Freie Kameradschaft Höxter sorgt für Schlagzeilen / Staatsschutz warnt vor Neonazis
Von Hubertus Gärtner
Bielefeld. Der Bürgermeister der Stadt Steinheim, Joachim Franzke (CDU), hatte kürzlich Vertreter der "Freien Kameradschaft Höxter" zu einer Besprechung ins Rathaus eingeladen. Der Fall sorgte für Schlagzeilen. Bis zum heutigen Tag ist nicht geklärt, ob das Steinheimer Stadtoberhaupt bewusst in einen Dialog mit Neonazis treten wollte oder ob Franzke ahnungslos in deren Falle tappte.
Fakt ist aber, dass die "Freie Kameradschaft Höxter", die zuvor auf Flugblättern angeblich fehlende Sicherheit auf öffentlichen Plätzen in Steinheim beklagt hatte, im Internet einen Erfolg feiern und ihre rechtsextremen und ausländerfeindlichen Absichten weiter publik machen konnte. Vertreter des polizeilichen Staatsschutzes in Bielefeld runzeln die Stirn, wenn sie an diesen Fall denken. Immerhin sei es ein gutes Zeichen, dass sich inzwischen alle Parteien in Steinheim von den Neonazis distanziert hätten, sagen sie. Sowohl bei Kommunalpolitikern als auch bei Eltern sei im Umgang mit Neonazis "hohe Wachsamkeit und viel Fingerspitzengefühl" angesagt. Denn Neonazis würden sich heute "stark an die Erlebniswelten der Jugendlichen anpassen", um sie "mit ihrer Ideologie zu verführen". Dazu zähle beispielsweise, dass sich die Neonazis "ganz normal kleiden".
Aktiver Kern agiert unter wechselnden Namen
Aus Sicht des polizeilichen Staatsschutzes darf die Gefahr, die von der "Freien Kameradschaft Höxter" ausgeht, weder dramatisiert noch verharmlost werden. Der aktive Kern dieser Gruppe bestehe zwar nur aus einer Handvoll Personen. Aber diese versuchten ständig, bei Konzerten, lockeren Treffen oder Demonstrationen weitere Sympathisanten und neue Mitstreiter zu rekrutieren. Der Kern der aktiven Kader agierte seit 2007 unter wechselnden Namen - so als "Sturm Höxter" oder als "Autonome Nationalisten Höxter / Paderborn". Seit Anfang vergangenen Jahres lautet die Bezeichnung "Freie Kameradschaft Höxter". Diese Neonazi-Gruppe gehört - zusammen mit ähnlichen Formationen aus Lippe und Gütersloh - zu einem bundesweiten Netzwerk, das sich als Teil des "nationalen Widerstandes" sieht und als Reaktion auf staatliche Verbote rechtsextremistischer Parteien und Organisationen gegründet wurde.
"Die Kader haben ihren Wohnsitz im Raum Steinheim"
Laut Bundesamt für Verfassungsschutz gibt es in Deutschland etwa 150 "Freie Kameradschaften", die jeweils autonom sind und zwischen fünf und zwanzig Mitglieder haben. Nach Erkenntnissen des polizeilichen Staatsschutzes hat die "Freie Kameradschaft Höxter" mit dieser Stadt allerdings eher wenig zu tun. "Die Kader haben ihren Wohnsitz im Raum Steinheim", heißt es. Allerdings gebe es auch "enge Verbindungen in den Raum Paderborn", wo die Neonazis unter anderem in der Fußball-Fanszene aktiv sind. Die Mitglieder der "Freien Kameradschaften" seien zumeist zwischen 18 und 25 Jahre alt. Regelmäßig nehmen sie an rechten Aufmärschen, zum Beispiel zuletzt in Dresden, teil. Nach Erkenntnissen des polizeilichen Staatsschutzes kann die Neonazi-Szene aus Ostwestfalen-Lippe bei solchen Anlässen insgesamt "etwa hundert Personen mobilisieren".
Brutale Straftaten
Den Staatsschützern liegen Erkenntnisse vor, dass die Nationale Offensive Schaumburg (NOS) nach einer Verbotsprüfung durch das niedersächsische Innenministerium den Versuch unternommen hat, sich stärker mit den "Freien Kameradschaften" in OWL zu vernetzen. Einige Führungsfiguren der NOS sind durch sehr brutale Straftaten in Erscheinung getreten. Sie wurden verurteilt oder stehen derzeit vor Gericht. Es gibt zumindest Hinweise, dass auch die Kader der "Freien Kameradschaft Höxter" versuchen, das bei der NOS entstandene Vakuum zu füllen.
Manchmal existiert in der Neonazi-Szene aber auch mehr Schein als Sein. So taucht, mit offener rechter Symbolik verziert, seit einiger Zeit im Internet die Website "Westfalen Nord" auf. Der Begriff erinnert an den "Gau Westfalen-Nord" und damit an die regionale Struktur der NSDAP. "Westfalen Nord" ist nach Erkenntnissen des Staatsschutzes aber keine neue regionale Dachorganisation neonazistischer Gruppen. Die Internet-Seite werde von bekannten Mitgliedern der "Freien Kameradschaften" aus OWL betrieben, heißt es. Deren Ziel sei es, möglichst große räumliche Präsenz vorzugaukeln.
Bauen die Neonazis also Potemkinsche Dörfer auf? Manchmal ja, sagen die Staatsschützer. Um ihre Veranstaltungen und den finanziell einträglichen Handel mit Rechtsrock-CDs, T-Shirts und anderen Szeneartikeln möglichst nicht zu gefährden, legten die "Freien Kameradschaften" neuerdings großen Wert darauf, dass ihre Mitglieder und Strukturen möglichst anonym blieben. Das mache sie unberechenbarer und für die Demokratie noch gefährlicher.